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Das großformatige Gemälde "Judith mit dem Haupt des Holofernes" kommt als Leihgabe aus Privatbesitz an die Bayerische Schlösserverwaltung (Maße: 196 x 144 cm). Es soll nach seiner Restaurierung dauerhaft auf der Feste Marienberg in Würzburg gezeigt werden. Da das Gemälde weder signiert noch datiert ist, lassen sich Entstehungszeit und Künstler bislang nur mit Hilfe stilistischer Vergleiche eingrenzen. Es wird dem Umkreis von Guido Reni zugeschrieben und in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts datiert.
Öl / Leinwald,
kleisterdoubliert
Die Darstellung zeigt Judith, eine alttestamentarische Gestalt, in der christlichen Ikonographie ein Sinnbild für weiblichen Heldenmut und Tugend. Ihre Geschichte wird im "Buch Judith" geschildert, jenes nach ihr benannte apokryphe, d. h. nicht kanonische Buch des Alten Testaments: Die schöne junge Witwe rettet die von den Assyrern belagerte Stadt Betulia, in dem sie sich Zugang zum Lager des Feldhauptmanns Holofernes verschafft und ihm nach einem Gelage mit seinem eigenen Schwert den Kopf abschlägt. Mit dem Haupt in einen Sack gehüllt kehrt sie mit ihrer Magd nach Betulia zurück und präsentiert es auf den Mauern der Stadt. Die nun führerlosen Assyrer ergreifen die Flucht und werden besiegt, Judith als Retterin gefeiert.
Das recht düstere Gemälde zeigt Judith nach vollbrachter Tötung. Demonstrativ hält sie das abgeschlagene Haupt in ihrer Linken hoch. Das blutige Schwert liegt links neben ihren Füßen auf dem Boden. Von hinten rechts naht ihre alte Magd, um den Kopf mit einem Stück Stoff aufzufangen. Links neben Judith erkennt man auf einem Tisch einen Helm, die Scheide des Schwertes und einen Kerzenleuchter mit einer verloschenen Kerze. Kunsthistorisch interpretiert haben offener Helm und Schwertscheide eindeutig sexuelle Bedeutung, die verloschene Kerze ist ein Symbol für den Tod. Untersuchungen im Zuge der Restaurierung haben ergeben, dass diese zurückgenommene, verschlüsselte Ikonographie des Geschehens erst die letzte, stark veränderte Version einer ursprünglich weitaus drastischeren Schilderung ist.
Deformationen der Oberfläche der Malerei, Runzelbildung und Frühschwundrisse, sowie Beobachtungen an Ausbrüchen in der Malschicht ließen vermuten, dass unter der jetzt sichtbaren Darstellung noch weitere Farbschichten liegen. Diese Vermutungen werden durch Querschliffe¹ bestätigt, bei denen man bis zu 10 verschiedene Farbschichten übereinander erkennen kann.
¹ Für einen Querschliff werden kleinste Partikel der Malschicht meist an Rändern von Beschädigungen entnommen und in Kunstharz eingegossen. Nach Erhärten des Harzes wird die Probe angeschliffen, bis sie eine glatte Oberfläche und einen Querschnitt durch alle Schichten des Probenpartikels zeigt. Unter dem Mikroskop lässt sich dieser Schichtenaufbau bei verschiedenen Lichtqualitäten optisch oder chemisch untersuchen.
Detail des Helms im Streiflicht
Probe aus dem braunen Untergewand
der Magd
als Querschliff im Auflicht
Querschliff unter UV-Licht
(100fache Vergrößerung)
Zur weiteren Klärung dieser punktuellen Analysen sollte eine Röntgenuntersuchung des gesamten Gemäldes dienen. Das Röntgenbild zeigt immer die Summe aller Schichten, es ermöglicht, verdeckte, tieferliegende Malschichten, z. B. Pentimenti, Änderungen während des Malprozesses, sichtbar zu machen. Mineralische Pigmente absorbieren Röntgenstrahlen unterschiedlich stark. Besonders das in früheren Jahrhunderten häufig verwendete bleihaltige Bleiweiß (2PbCO 3 . Pb(OH) 2 ) hat eine sehr hohe Absorption. Mit Bleiweiß ausgemischte Farbaufträge, z. B. Inkarnate (Hautfarben/Fleischtöne), erscheinen daher auf dem belichteten Röntgenfilm als helle Partien.
Röntgenbild des Gemäldes
(Aufnahme: Clemens
Heidger,
Firma art-ray, München;
Foto: BSV)
So auch bei diesem Gemälde. Die Röntgenaufnahme zeigt überraschend weitreichende Veränderungen. Sie erlaubt es, den Malprozess, die Entstehung der Bildkomposition nachzuvollziehen. Mindestens drei Fassungen der Szene sind zu entdecken: In der ersten Anlage der Darstellung ist in der linken Bildhälfte bei genauem Hinsehen der Oberkörper des kopflosen Holofernes als helle Partie erkennbar. Er liegt quer auf einem Bett, deutlich zeichnen sich das Oval des offenen Halsstumpfes, seine Schultern und sein Brustkorb ab. Gut sichtbar reckt sich sein linker Arm in Agonie in die Höhe. Der rechte Arm ist angewinkelt, mit der rechten Hand greift er in das senkrecht stehende Schwert, auf das sich Judith stützt. In dieser ersten Version hat sie den Kopf nach links gedreht und den Blick auf den Leichnam gesenkt. Augen, Nase und Mund sind nur schemenhaft zu erkennen, diese Kopfhaltung blieb wohl skizzenhafte Vorzeichnung.
In einer zweiten, auch verdeckten Version hat Judith den Kopf schon nach rechts gewendet und den Blick erhoben. Sie trägt einen großen, turbanartigen Kopfputz, der in der letzten, sichtbaren Version zugunsten eines schlichteren Haarschmucks verworfen wurde. Kleinere Abänderungen zeigt die Drapierung von Gewandfalten und Brusttuch.
Vermutlich sind diese Veränderungen über einen längeren Zeitraum hinweg geschehen: Einige Schadensphänomene sprechen dafür, dass die untere Malschicht schon durchgetrocknet war, bevor weitere Farbschichten aufgetragen wurden.
Es stellt sich die Frage nach dem Motiv dieser Änderungen. Hatte sich der Geschmack verändert und wurde die Darstellung des Leichnams mit dem offenen Halsstumpf als zu drastisch empfunden? Ließ sich diese von Caravaggio beeinflusste Bilderfindung nicht mehr verkaufen? Hat ein zweiter Künstler das Bild vollendet? Diese Fragen ließen sich eventuell erst bei genauerer Kenntnis über Künstler, Entstehungszeit und -ort beantworten.
Detail der Röntgenaufnahme
aus dem Gewand Judiths mit
charakteristischer Struktur
des textilen Bildträgers
Zur Eingrenzung von Entstehungszeit und -ort könnte der verwendete textile Bildträger zusätzliche Indizien liefern. Da das Gemälde doubliert ist, ist die Rückseite der originalen Bildleinwand nicht einsehbar. Die Röntgenaufnahme zeigt, dass die große Leinwand aus einem Stück besteht. Die drei dunklen senkrechten Striche zeigen lediglich die Stöße der Röntgenfilmbahnen. In den dunkleren Partien erkennt man eine Art Würfelmuster. Bei näherem Hinsehen bildet die Webart eine Rautenformation. Das Muster entsteht durch eine sehr aufwändige Webtechnik, wohl eine Kombination von Köper- und Leinenbindung. Bei Leinwänden dieser Webart handelt es sich ursprünglich um Haustextilien, Bett- oder Tischtücher, die in Zweitverwendung als Malleinwand benutzt wurden. Diese Annahme hat schon Frau Joan Marie Reifsnyder, Direktorin des "Florence Conservation & Resource Centers", auf Grund ähnlicher Beobachtungen in ihrem Beitrag: "A painting – canvas or just an old tablecloth?" auf der Tagung des International Institut for Conservation (IIC) "Painting Techniques" 1998 in Dublin zur Diskussion gestellt.
Die Struktur des Gewebes zeichnet sich in Partien mit dünnerem Farbauftrag auch durch die Malschicht ab. Hat man diese Gewebestruktur einmal beobachtet, entdeckt man sie bei genauerer Betrachtung von Gemäldeoberflächen in Museen öfters. So sind einige Gemälde Poussins (1593-1665) der römischen Zeit ab 1624, aber auch Werke spanischer Maler um 1600 auf solche Leinwände gemalt. Alles spricht für eine Entstehung im südlichen Mittelmeerraum im frühen 17. Jahrhundert. Das Rätsel ist also noch nicht gelöst. Über weiterführende Hinweise würden wir uns sehr freuen.
Text: Bettina Schwabe, Gemälderestauratorin
Fotos: Bayerische
Schlösserverwaltung
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