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28. Juni 2010

Pressemitteilung

"Gewebter Luxus" an der Wand: Tapisserien-Ausstellung in der Residenz Würzburg eröffnet

Prächtige Wandbehänge gehörten über Jahrhunderte hinweg zu den wertvollsten Ausstattungsstücken der Residenzen und Schlösser in Europa. Ab heute (29. Juni) ist in der Residenz Würzburg die Sonderausstellung "Gewebter Luxus – Tapisserien aus Beauvais und Würzburg" zu sehen. Sieben kostbare Wandteppiche des 18. Jahrhunderts, knapp 4 m hoch und bis zu 7 m breit, beeindrucken bei optimaler Ausleuchtung mit ihrer ganzen Detailvielfalt.

Finanzstaatssekretär Franz Josef Pschierer eröffnete heute die Sonderausstellung in den Südlichen Kaiserzimmern, die erstmals das gesamte erhaltene Œuvre der Würzburger Tapisserie-Manufaktur unter Andreas Pirot in der Residenz Würzburg vereint. Darunter findet sich auch eine Neuerwerbung der Bayerischen Schlösserverwaltung, die ab jetzt dauerhaft in Würzburg bleiben wird.

 

Der Kaiser und die Commedia

Vier der prächtigen Tapisserien entführen den Betrachter in das exotische Reich des Kaisers von China – so, wie es sich den Europäern vor 250 Jahren darstellte. Drei weitere Tapisserien holen mit Szenen der Commedia dell’arte das schon aus dem "Venezianischen Zimmer" der Residenz bekannte Karnevalstreiben aus der Lagunenstadt an den Main. Drei der China-Tapisserien stammen aus der berühmten französischen Manufaktur in Beauvais, die übrigen Wirkteppiche kommen aus der Würzburger Manufaktur unter Andreas Pirot. Einmalig ist die Möglichkeit, in der Ausstellung einen sogenannten "Karton", das ist ein Stück eines in Originalgröße gemalten Entwurfs, direkt mit der danach entstandenen Tapisserie vergleichen zu können. Die Ausstellung läuft bis zum 31. Oktober.

 

Andreas Pirot: Mittelloser Halbwaise wird Manufakturleiter

Andreas Pirot ist ein heute zu Unrecht fast vergessener Kunsthandwerker, der in seiner kleinen Würzburger Manufaktur unter schwierigen Bedingungen bedeutende Leistungen erzielte. Am 26. Mai 1708 wurde Andreas Pirot im Frankfurter Dom als sechstes von neun Kindern des Simon Pirot und seiner Frau Gertrud getauft. Der Beruf des Vaters bleibt unbekannt, ebenso, wann und warum die Familie nach Würzburg zog. Dort fand Andreas, offenbar nach dem Tod des Vaters, Aufnahme im Kinderhaus des Juliusspitals und wurde 1721 mit 13 Jahren bei dem "Tappetenwürcker" Johann Thomas in die Lehre geschickt.

 

"Würcken" für die Inneneinrichtung der Residenz

Der Würzburger Fürstbischof, der eben mit dem riesigen Neubau der Residenz begonnen hatte, wollte seine Raumfluchten mit wertvollen Wandbehängen ausstatten. Diese Tapisserien sollte eine eigene Manufaktur kostengünstig herstellen. Deshalb ließ er für Pirot nicht nur das Lehrgeld bezahlen, er ließ ihn auch zum Auslernen mit Thomas nach Fulda ziehen. Krönender Abschluss von Pirots Lehrzeit war ein ebenfalls vom Würzburger Hochstift finanzierter Aufenthalt in der Wirkermetropole Brüssel. Ab 1728 musste Pirot seine Ausbildungskosten dann als Leiter der fürstbischöflichen Wirkteppich-Manufaktur in Würzburg über viele Jahre abarbeiten. 1732 beschäftigte er vier Lehrlinge und sollte jährlich zwei Tapisserien für die fürstbischöflichen Schlösser in Franken liefern.

 

Outsourcing und Ende in Armut

Im Jahr 1749 gab die Würzburger Hofkammer die eigene Tapisserie-Manufaktur aus Kostengründen wieder auf, gestattete Pirot jedoch das Weiterarbeiten als Privatunternehmer. Dadurch geriet Pirot in große Geldnot, bis ihm auf sein Gnadenersuchen hin ab 1752 bis zu seinem Tode 1763 wieder ein kleines Gehalt als "Hof-Zimmer-Inspektor" zugestanden wurde.

Insgesamt produzierte die Würzburger Manufaktur unter Andreas Pirot etwa 25 Tapisserien, von denen sich – die Anstückungen nicht eingerechnet – offenbar nur acht Stück erhalten haben. Zwei Versionen der "Chinesischen Hochzeit" sind in Würzburg zu sehen, eine im Mainfränkischen Museum, eine zweite, die aus der Residenz Bamberg stammt, in der Ausstellung.

 

Neuerwerbung für Würzburg

Die bekanntesten Werke Pirots dürften die drei Tapisserien der "Commedia dell’arte"-Folge sein, die lebhafte Szenen aus dem Venezianischen Karneval zeigen und dem "Venezianischen Zimmer" der Residenz Würzburg zu seinem Namen verhalfen. Nur zwei Räume weiter, in der sogenannten "Galerie" der Residenz, ist jetzt eine zweite Dreierfolge aus Pirots Würzburger Manufaktur ausgestellt, die ebenfalls zur "Commedia dell’arte"-Serie gehören. Hier bieten sich reizvolle Vergleichsmöglichkeiten, denn die beiden Tapisserien "Gastmahl im Freien" und "Maskenzug auf dem Markusplatz" sind nur scheinbar exakte Wiederholungen der Szenen aus dem Venezianischen Zimmer. Tatsächlich unterscheiden sie sich in zahlreichen Details und sind auch farblich besser erhalten. Die schmale dritte Tapisserie, die "Pantalone und Doctor Boloard" darstellt und von deren Existenz bisher nichts bekannt war, ist eine besonders glückliche Neuerwerbung der Bayerischen Schlösserverwaltung, die jetzt dauerhaft in Würzburg bleiben wird.

 

Presse-Informationen:
Dr. Jan Björn Potthast, Pressesprecher der Bayerischen Schlösserverwaltung
Telefon (0 89) 1 79 08-160, Fax (0 89) 1 79 08-190, presse@bsv.bayern.de


Pressemitteilung 28. Juni 2010


 
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